Die vier Steinbauphasen sind – neben der zweidimensionalen Zusammenführung der Grundrissskizzen (siehe dazu Unterpunkt: Geschichte) – u.a. mittels virtueller Rekonstruktionen visualisierbar. Diese 3D-Modelle vermitteln einen ersten Eindruck davon, wie diese Vorgänger möglicherweise ausgesehen haben könnten.
Von der Grabung und Bauforschung zum 3D-Modell
Anhand archäologischer Grabungsergebnisse und restauratorischer Befunduntersuchungen kann versucht werden, die wechselvolle Geschichte der Vituskirche nachzuvollziehen. Dazu ist es notwendig den originalen Baubestand, also was in situ noch erhalten ist, zu analysieren und auszuwerten. Diese Ergebnisse bilden neben den archivalischen Schrift- und Bildquellen wie etwa historische Karten und alte Ansichten, eine wichtige Basis für virtuelle Rekonstruktionen. Mittels moderner Computertechnik werden die Forschungserkenntnisse technisch umgesetzt und zu einem „neuen alten Bild“ zusammengefügt. Wichtig ist es, dabei zu betonen, dass eine Rekonstruktion niemals die reale Wirklichkeit abbilden kann, sondern lediglich eine Annäherung ist wie die verlorengegangene Bausubstanz möglicherweise ausgesehen haben könnte.
Im Rahmen einer Grabung (1982/83) des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD) sowie mit den anschließenden Restaurierungsmaßnahmen konnten neue Erkenntnisse zur Geschichte des bedeutenden Baudenkmals gewonnen werden. Damals wurde bereits erkannt, dass der heutige Bau der Kirche demzufolge drei Vorgängerbauten aus Stein hatte. Eine aktuell stattgefundene Neubewertung (2020, Burglandschaft) der verschiedenen archivalischen Schrift- und Bildquellen zur Denkmalentwicklung, Baugeschichte und den Restaurierungsmaßnahmen, konnte nicht nur künftige Forschungsansätze aufzeigen, sondern auch Ergebnisse liefern, die für die virtuelle Rekonstruktion des möglichen Aussehens der Vorgängerbauten verwertbar waren. Zur Erforschung der älteren drei Vorgängerbauten von St. Vitus und der damit verbundenen bauhistorischen Entwicklung konnten diese Quellen zur Gewinnung weiterer Kenntnisse dieser bedeutenden Pfarrkirche nun ergänzend herangezogen und ausgewertet werden. Einige davon sind auf der Homepage der Burglandschaft eingepflegt.
Quellenforschung, Originalbestand und Rekonstruktion
Insbesondere die Grabungsergebnisse der 1980er-Jahre und die Erkenntnisse aus den Restaurierungsmaßnahmen konnten für die Rekonstruktionen herangezogen werden, um etwa die unter dem Bodenniveau erhaltenen und erforschten Mauerverläufe und -breiten zielführend zu verwerten. Für den Aufriss und das Aussehen des Kirchengebäudes, wurden zunächst die erhaltenen historischen Bildquellen ausgewertet. Sailauf ist anscheinend erstmalig im 16. Jahrhundert auf historischen Karten mit einer Abbildung des Kirchenbaus von St. Vitus dargestellt (Karte des Spessarts, 1562-1594 von Paul Pfinzing; „Maskopp-Karte“, um 1575 von Gottfried Maskopp). Ältere Planzeichnungen oder Karten mit den Darstellungen der Vituskirche beziehungsweise mit verwertbaren Ansichten von Sailauf sind nach momentanem Kenntnisstand vermutlich nicht erhalten geblieben.
Die nächste bedeutende kartographische Bildquelle stammt aus dem 19. Jahrhundert (Katasterplan um 1850, Bayerische Vermessungsverwaltung). Diese historische Planzeichnung stellt den Kirchenbau (Bau 4) inmitten des Friedhofs dar. Die umfassende Friedhofsmauer – sogar Mauerstützen sind eingezeichnet – sowie umliegende Gebäude und die Wegeführung von der Ortsmitte Sailaufs auf den erhöhten Kirchberg hinauf, wie auch Verbindungswege nach Norden, sind im Lageplan enthalten. Da keine ältere Planquelle bekannt ist, die darüber Auskunft gibt, bildet dieser Katasterplan die Grundlage für die Umgebung der Pfarrkirche, also die Wege und Mauern in den virtuellen Rekonstruktionen von St. Vitus. Bemerkenswerterweise sind eine ähnliche Wegeführung sowie die umfassende Friedhofsmauer annähernd in gleicher Form bis heute auf dem Kirchberg erhalten geblieben. Bei der Friedhofsmauer ist die abgewinkelte Mauerkrone auffällig, deren oberer Abschlussstein dreieckig, wie nach „Art eines Satteldaches“ erscheint.
Ergänzend zu den Planzeichnungen wurden historische Fotografien und Ansichten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Bildquellen herangezogen und die Erkenntnisse mit archivalischen Schriftquellen (hier vornehmlich publizierte Quellenbelege) abgeglichen und ergänzt. Da jedoch trotz umfassender Recherche vielzählige Fragen zum einstigen Aussehen der drei Vorgängerkirchen offengeblieben sind, wurden zusätzlich kunsthistorische Vergleiche herangezogen. In der Zeit der Romanik (Bau 1 und Bau 2) sind auch in Süddeutschland dörfliche Pfarrkirchen mit Chor und Glockenturm in einer traditionell einschiffigen Form häufig anzutreffen. Interessanterweise hat sich diese Langhausform mit quadratischem Chor, beziehungsweise seit dem Barockumbau mit einem polygonalen Chor, über die Jahrhunderte bis in unsere heutige Zeit überdauert. Eine Ausnahme davon bildet die dritte Umbauphase 1574/79, deren angebaute Mauerteile unverkennbar einen Bruch mit dieser längsrechteckigen Bauform darstellen. (Bau 3 tendiert an den Seiten zum Quadrat, eine spätere Verschmälerung des Baukörpers im Zuge der spätbarocken Umbaumaßnahmen des Langhauses scheint eher recht unwahrscheinlich, was an dieser Stelle aufgrund fehlender Forschungserkenntnisse jedoch nicht endgültig geklärt werden kann).
Die in den Rekonstruktionen verwendeten bzw. dargestellten Materialien konnten aufgrund kunsthistorischer Vorbilder unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten (wie etwa der rote Buntsandstein usw.) ergänzt werden. Weitere baulichen Details und stilistische Elemente wurden anhand des erhaltenen Originalbestands sowie aufgrund von Grabungsberichten, restauratorischer Befunduntersuchungen samt Fotodokumentationen und den sonstigen Unterlagen der Sanierungen geklärt. Nicht bekannte Details, Merkmale und Ausstattungselemente wurden in der virtuellen Rekonstruktion weggelassen.
Zeugnisse des Mittelalters – originale Bausubstanz
Die wohl interessantesten mittelalterlichen Steinzeugnisse befinden sich am romanischen Glockenturm. Diese sind zum Teil sichtbar, zum Teil von neuzeitlichem Putz überdeckt oder schlichtweg bislang wenig wahrgenommen worden. Einige verzierte romanische Eckquader aus rotem Buntsandstein sind heute noch an den Innenwänden des Turms im unteren Geschoss sichtbar. Weitere dieser verzierten Quadersteine sind am Außenbau in recht großer Zahl im Eckverband als Zierquader verbaut worden (heute jedoch unter Putz verborgen). Fotografien die während der Sanierungsmaßnahmen in den 1980er-Jahren angefertigt wurden, dokumentieren diese originale Bausubstanz. Die wertvollen Bildquellen haben sich zum Teil im Archiv des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, Schloss Seehof, sowie im Archiv des damals bauleitenden Architekten Kaupp, Aschaffenburg, sowie im Privatarchiv von Fred Maier, Förderverein Sailauf für Heimat und Geschichte e. V., erhalten. Die Fotodokumentation belegt für die Eckquadersteine unterschiedlichste Oberflächengestaltungen: Ritzungen der Eckquadersteine in Form von Rauten, kreisförmigen Ritzungen, halbrunde Schraffuren, Linien und Streifen, überkreuzte Ritzungen, u. v. a. m. Diese Verzierungen der Eckquaderung könnte stilistisch als Rückgriff auf die Antike verstanden werden. In der Literatur werden sie oftmals als „Fischgrätmuster“ bezeichnet.
In der Forschung ist bislang unklar – was künftig noch geklärt werden könnte – an welcher Stelle die verzierten Quadersteine ursprünglich verbaut waren und in welcher der beiden romanischen Steinbauphasen (Bau 1 oder Bau 2) diese angefertigt wurden. Aufgrund der umfassenden Umbaumaßnahmen der zweiten Bauphase könnte es sein, dass bereits vorhandene Steine des ersten Steinbaus für die Kirchenerweiterung wiederverwendet und die Steine somit an anderer Stelle eingebaut wurden. Möglicherweise stammen diese Sandsteine also bereits aus dem 11. Jahrhundert und wurden für den zweiten Steinbau im 12. / 13. Jahrhundert schlichtweg aufgrund des wertvollen Materials wiederverwendet und wieder mit eingebaut (transloziert). Die heterogene Anordnung der Zierquader im Turminnern legt zumindest die Vermutung nahe, dass in einer späteren Bauphase romanische Eckquader in anderer Anordnung verbaut wurden. Dieses würde bedeuten, dass die Steine ursprünglich zum Teil an anderer Stelle des Baus Verwendung fanden als heute.
Eine weitere mittelalterliche Bauzier hat sich am Turm-Außenbau erhalten. In der abgeschrägten hervortretenden Sockelzone des Turms bilden, mit einem (wohl romanischen) rautenartigen zick-zack-Linien-Motiv verzierte Steine den unteren Abschluss. Ob diese Sockelzone bereits in ihrer Erbauungszeit dort angebracht wurde oder ob sich diese verzierten Steine möglicherweise im Mittelalter an anderer Stelle des Kirchenbaus befanden, könnte unter anderem eine grundlegende Bestandsuntersuchung klären. (Denn, etwas verwunderlich ist, dass die abgeschrägte Zierseite der Steine ungeschützt nach oben gerichtet eingebaut ist. Teilweise sind vergleichbare Zierquader eher als umlaufendes Zickzackfries an (Turm-) Wänden in den oberen Geschossen als Bauzier anzutreffen (mit Zierleiste nach unten blickend), was momentan jedoch nur vermutet werden kann).